Z Audiol 2022; 61 (1) 16–26 – Kerner/Winkler/Holube |
Untersuchung des Einflusses der Störgeräuschrichtung auf das Sprachverstehen mit Richtmikrofonsystem
Exploration of the influence of noise direction on speech recognition with a directional microphone system
Maximilian Kerner, Alexandra Winkler, Inga Holube Institut für Hörtechnik und Audiologie, Jade Hochschule und Exzellenzcluster „Hearing4All“, Oldenburg
Zusammenfassung: Im Rahmen der Hörgeräteversorgung werden zur Erfolgskontrolle Messungen des Sprachverstehens im Störgeräusch durchgeführt. In der Hilfsmittel-Richtlinie ist die minimal zu erreichende Verbesserung, aber nicht die räumliche Messanordnung der Sprach- und Störgeräuschsignale vorgegeben. Um den Einfluss der räumlichen Anordnung abschätzen zu können, wurde die Abhängigkeit des Sprachverstehens von verschiedenen Störgeräuschrichtungen und die jeweilige Verbesserung des Signal-Rausch-Abstands (SNR) durch ein typischerweise in Hörgeräten verwendetes Richtmikrofon untersucht. Hierfür wurde eine virtuelle akustische Umgebung mit der Toolbox for Acoustic Scene Creation and Rendering (TASCAR) erstellt. In der Kombination mit Außenohrübertragungsfunktionen und dem Master Hearing Aid (MHA) wurde eine möglichst realitätsnahe Hörsituation über Kopfhörer simuliert. Die Messungen wurden mit jungen Probanden ohne Hörbeeinträchtigung durchgeführt, sodass das MHA für die Messungen nur eine Richtmikrofonimplementierung beinhaltete.
Das Störgeräusch wurde aus den in der Praxis häufig verwendeten Richtungen 0°, 90°, 180°, aus der in DIN EN ISO 8253-3 spezifizierten Richtung ±45°, aus ±135° und aus allen Richtungen gleichzeitig (diffus) präsentiert. Als Sprachtests wurden der Oldenburger Satztest (OLSA) und der Freiburger Einsilbertest (FBE) verwendet, wobei das Sprachsignal immer frontal dargeboten wurde. Für den OLSA wurde für jede Kondition (sechs Störgeräuschrichtungen jeweils mit und ohne Richtmikrofonsystem) die Schwelle ermittelt, bei der die Probanden ein Sprachverstehen von 50 % erreichten (SRT50). Beim FBE wurde für jede Kondition (fünf Störgeräuschrichtungen, ohne ±45°) das prozentuale Sprachverstehen bei einem festen SNR ermittelt. Für den OLSA wurde außerdem die SNR-Verbesserung durch das Richtmikrofonsystem berechnet. Die Ergebnisse zeigen sowohl mit als auch ohne Richtmikrofonsystem einen Einfluss der Störgeräuschrichtung auf das Sprachverstehen. Die perzeptiven Verbesserungen im Sprachverstehen stimmten mit den richtungsabhängigen gemessenen SNR-Verbesserungen durch das Richtmikrofonsystem überein. Aufgrund dieser Ergebnisse mit jungen Probanden ohne Hörbeeinträchtigung sollten weitere Studien mit Probanden mit Hörbeeinträchtigung folgen, um die fehlende einheitliche Angabe der Sprach- und Störgeräuschrichtung in der Hilfsmittel-Richtlinie zu diskutieren.
Stichwörter: Hilfsmittel-Richtlinie, Störgeräuschrichtung, Freiburger Einsilbertest, Oldenburger Satztest, Toolbox for Acoustic Scene Creation and Rendering, Master Hearing Aid, Richtmikrofon Abstract: Within the scope of the hearing aid fitting, measurements of speech recognition in noise are carried out to validate the success of the fitting. The guideline for hearing aid provision in Germany specifies the minimum improvement to be achieved, but not the spatial measurement condition of speech and noise signals. To estimate the influence of the spatial conditions, speech recognition was examined in its dependence on different noise directions and the respective improvement in signal-to-noise ratio (SNR) when using a typical directional microphone in hearing aids. Therefore, a virtual acoustic environment was created using the Toolbox for Acoustic Scene Creation and Rendering (TASCAR). In combination with Head-Related Transfer Functions and the Master Hearing Aid (MHA), a listening situation, as realistic as possible, was simulated via headphones. The measurements were performed by young participants with normal hearing. The MHA included only a directional microphone implementation.
The noise was presented from the directions 0°, 90°, 180°, the direction ±45° as specified in DIN EN ISO 8253-3, ±135°, and from all directions simultaneously (diffuse). The speech signal was always presented from the frontal direction. The Oldenburg sentence test (OLSA) and the Freiburg monosyllabic speech test (FBE) were used. For OLSA, speech recognition thresholds for scores of 50 % (SRT50) were measured for each condition (six noise directions, each with and without MHA). For FBE, speech recognition was determined as a percentage score at different fixed SNR for each condition (five noise directions, without ±45°). For OLSA, the SNR improvement due to the directional microphone was also calculated. The results showed that, regardless of the use of the directional microphone, the noise direction had an influence on speech recognition. The perceptual improvements in speech recognition were consistent with the directional SNR improvements measured by the directional microphone system. Based on these results with young participants without hearing impairment, further studies with participants with hearing impairment should follow to discuss the missing standardization of speech and noise direction in the guideline for hearing-aid provision in Germany. Keywords: German guidelines for hearing-aid provision, noise direction, Freiburg monosyllabic speech test, Oldenburg sentence test, toolbox for acoustic scene creation and rendering, master hearing aid, directional microphone Online-Erstveröffentlichung in GMS Z Audiol (Audiol Acoust) DOI: 10.3205/zaud000017
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Z Audiol 2022; 61 (1) 7–15 – Hesse/Kastellis |
Tinnitus – Grundlagen und Therapie unter Berücksichtigung der aktuellen S3-Leitlinie „Chronischer Tinnitus“
Tinnitus – Basics and therapy taking into account the current S3 guideline “Chronic Tinnitus”
Gerhard Hesse1,2 Georgios Kastellis2 1 Tinnitus-Klinik am Krankenhaus Bad Arolsen, Deutschland 2 Universität Witten-Herdecke, Witten, Deutschland Zusammenfassung: Tinnitus ist ein Symptom gestörter Hörwahrnehmung und in über 90 % der Fälle mit einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Hörverlust vergesellschaftet. Zwar klagen sehr viele Menschen über Ohrgeräusche und suchen entsprechende Behandlungsangebote, tatsächlich sind Ausprägung und Belastung der Beschwerden sehr unterschiedlich und verschwinden bei vielen Menschen auch ohne Therapie wieder bzw. werden habituiert, d. h. nicht mehr störend wahrgenommen. Therapieansätze, die Ohrgeräusche vollständig abschalten können, sind nicht verfügbar, zumal die Ausprägung und Entstehung des Tinnitus individuell sehr unterschiedlich sind. In diesem Review sollen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Tinnitus zusammengefasst und Therapieformen beschrieben und bewertet werden. Die Übersicht stützt sich dabei auf die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie gerade neu erstellte und im September 2021 veröffentlichte S3-Leitlinie „Chronischer Tinnitus“.
Stichwörter: Tinnitus, Schwerhörigkeit, Hyperakusis, kognitive Verhaltenstherapie, Hörgeräte Abstract: Tinnitus is a symptom of disturbed auditory perception and in more than 90 % connected to hearing loss of different expression. Many people experience tinnitus and seek for treatment, but suffering and burden through the tinnitus is individually very different. With many patients it vanishes after a certain time even without treatment. This process is called habituation, tinnitus is perceived less disturbing. Up to date there is no therapy that can completely switch off the tinnitus, mainly because origin and expression of tinnitus is individual and very different. This review summarizes scientific findings about tinnitus, its origin and comorbidities, and describes and evaluates modern therapies. It is based on the just new elaborated and in September 2021 published S3-Guideline “Chronic Tinnitus”, under the lead management of the German Society of ENT, Head and Neck-Surgery. Keywords: tinnitus, hearing loss, hyperacusis, cognitive behavioural therapy, hearing aids Online-Erstveröffentlichung in GMS Z Audiol (Audiol Acoust). 2021;3:Doc01. DOI: 10.3205/zaud000019
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Z Audiol 2021; 60 (4) 138–148 – Zinner/Winkler/Holube |
Vergleich von fünf Sprachtests im sprachsimulierenden Störgeräusch
Comparison of five speech tests in speech-simulating noise
Christina Zinner, Alexandra Winkler, Inga Holube Institut für Hörtechnik und Audiologie, Jade Hochschule, und Exzellenzcluster „Hearing4All“, Oldenburg Zusammenfassung: In Deutschland stehen mehrere Sprachtestverfahren zur Verfügung, die jeweils mit unterschiedlichen Störgeräuschen und teils auch verschiedenen Kalibrierungsverfahren verwendet werden. Dadurch können Vergleiche zwischen den Ergebnissen der jeweiligen Sprachtests nur bedingt erfolgen. Zur Untersuchung der Unterschiede zwischen dem Freiburger Einsilbertest, dem Oldenburger Satztest, dem Göttinger Satztest, dem Hochmair-Schulz-Moser-Satztest und dem Reimtest nach von Wallenberg und Kollmeier wurden deshalb die Messbedingungen angeglichen. Zum einen wurden alle Sprachmaterialien auf den gleichen mittleren Langzeitpegel kalibriert. Zum anderen wurden neue sprachsimulierende Rauschen (Speech-Adjusted Noise (SAN)) durch 30fache Überlagerung des jeweiligen Sprachmaterials generiert. Diese SAN-Rauschen weichen zum Teil deutlich vom Spektrum der standardmäßig verwendeten Rauschen (STD-Rauschen) ab. Das Sprachverstehen in SAN- und in STD-Rauschen wurde mit 22 jungen Probanden ohne Hörbeeinträchtigungen im Freifeld ermittelt. Sowohl die Sprache als auch die Störgeräusche wurden über einen Lautsprecher aus der 0°-Richtung dargeboten. Jedes der fünf Sprachmaterialien wurde in den Störgeräuschen bei mindestens drei Signal-Rausch-Abständen präsentiert. An die Messergebnisse wurden Diskriminationsfunktionen angepasst und die Schwelle für 50 %iges Sprachverstehen (SRT50) mit der entsprechenden Steigung ermittelt. Die Differenz zwischen den SRT50-Werten für die STD-Rauschen und die SAN-Rauschen war für den Hochmair-Schulz-Moser-Satztest mit 4,0 dB am größten und für den Göttinger Satztest mit 0,7 dB am geringsten. Bei Verwendung der SAN-Rauschen und gleichem Kalibrierverfahren wichen die SRT50-Werte der fünf Sprachmaterialien um maximal 2,7 dB voneinander ab. Die Steigungen der Diskriminationsfunktionen unterschieden sich im STD-Rauschen um bis zu 15,1 %-Punkte/dB. Diese Diskrepanz reduzierte sich im SAN-Rauschen innerhalb der Satztests auf 1,8 %-Punkte/dB sowie innerhalb der Worttests auf 0,2 %-Punkte/dB und war für die Satztestverfahren signifikant steiler als für die Worttests.
Stichwörter: Sprachtests, Sprache im Störgeräusch, sprachsimulierendes Störgeräusch, Kalibrierung, OLSA, FBE, GÖSA, WAKO, HSM Abstract: There are several speech recognition tests available in Germany. They are often used with different background noises and with different calibration methods. Therefore, comparisons between the resulting speech recognition scores can only be made conditionally. Here, measurement conditions were adjusted to examine the differences in speech recognition using the Freiburg monosyllabic speech test, Oldenburg and Göttingen sentence test, Hochmair-Schulz-Moser sentence test, and monosyllabic rhyme test according to von Wallenberg and Kollmeier. First, all speech data sets were calibrated to the same average long-term level. Second, new speech-simulating noises (speech-adjusted noise (SAN)) were generated from the speech materials. For this purpose, each set of speech material was superimposed 30 times. These SAN noises differ substantially from the spectrum of standard (STD) noises. The speech recognition thresholds in STD and SAN noises were measured with 22 young listeners without hearing deficits in the free field. Both speech and background noise were presented via one loudspeaker from the 0° direction. Each of the five speech tests was presented in background noise with at least three signal-to-noise ratios. Discrimination functions were fitted to the results and the thresholds for a speech recognition score of 50 % (SRT50) and the corresponding slopes were determined. The difference in SRT50 between STD and SAN noise was largest (4.0 dB) for the Hochmair-Schulz-Moser sentence test and was only 0.7 dB for the Göttingen sentence test. When using SAN noise and the same calibration method, the SRT50 values of the five speech sets deviated from each another by maximally 2.7 dB. The slopes of the discrimination functions differed by up to 15.1%-points/dB in STD noise. This deviation was reduced in SAN noise to 1.8%-points/dB within the sentence tests and to 0.2%-points/dB within the word tests. In addition, the slopes were significantly steeper for the sentence tests than for the word tests. Keywords: speech test, speech in background noise, speech-simulating noise, calibration, OLSA, FBE, GÖSA, WAKO, HSM
Online-Erstveröffentlichung in GMS Z Audiol (Audiol Acoust) doi: 10.3205/zaud000016
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